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Cross-Post meines Artikels bei KrautPress vom 30.11. 2017.

Montag, 9. Oktober 2017:
Robert Gabriel Mugabe, Präsident von Simbabwe seit 1980, strafversetzt seinen Finanzminister Patrick Chinamasa an die Spitze des neu geschaffenen Ministeriums für Cyber Security. Chinamasas Aufgabe: Social Media zu überwachen—in einem Land, in dem 95% der Bevölkerung mobil online sind.

Harare ist eine Millionenstadt, sieht aber nicht unbedingt so aus.
Knapp einen Monat später, am Donnerstag, den 3. November, lande ich gegen 17:30 Uhr auf dem Harare International Airport, als WordCamp-Tourist.
Meine Aufgabe: der WordPress-Community von Harare Nützliches über Web-Performance zu erzählen—in einem Land, in dem 98% aller Webseiten-Aufrufe von einem Telefon oder Tablet aus stattfinden.
Simbabwe empfängt mich freundlich mit einem Retina-Scan und einem zehnminütigen Stromausfall, während ich mein Einreiseformular ausfülle. Als ich aus dem Flughafengebäude trete, tauft mich prompt der erste Regenschauer der Saison. Ich bin dann mal da, Afrika.
Geplante Stromausfälle („load shedding“) schützen das Netz vor Überlastung
Nach einer angenehm unaufgeregten Taxifahrt in den Stadtabend hinein, durch großzügig breite, zwar spärlich beleuchtete, doch dessen ungeachtet urban geschäftige Straßen, erreiche ich das Anwesen meiner Gastgeberin Irene, die mit ihrem Mann Murray zusammen einen Verlag betreibt.
Wiederum eine Stunde später liege ich in den Federn meines urgemütlichen Cottage. Der zweite Stromausfall des Abends hat die Dusche außer Kraft gesetzt und mich schlagartig im Dunkeln sitzen lassen. Ich bin sowieso hundemüde, und in Simbabwe geht man wohl auch eher früh schlafen.
Mitten in der Nacht wache ich auf, orientierungslos, brennende Augen. Strom und Licht sind wieder da – guten Morgen, Soldat.

Freitag, 3. November:
In den frühen Morgenstunden lässt der neue Minister für Cyber Security Martha O’Donovan verhaften.

O’Donovan ist eine der Managerinnen von Magamba Network, einem Netzwerk junger Kreativer, das auch den Co-Working Space Moto Republik betreibt, in dem sich das WordPress Meetup Harare monatlich trifft.
Der Vorwurf, dessentwegen die US-amerikanische Staatsbürgerin im Hochsicherheitsgefängnis Chikurubi interniert wird, lautet: Präsidentenbeleidigung durch einen Tweet. Ihre Verhaftung führt unverzüglich zu einem Aufschrei auf Twitter unter dem Hashtag #FreeMartha.

WordCamp-Touristen-Terrassen-Frühstück
Mein Freitagmorgen beginnt mit einem Frühstück auf der Terrasse meines Cottage, den beunruhigen Nachrichten von #FreeMartha, gefolgt von fieberhaften letzten Verbesserungen meines Skripts für den morgigen Vortrag.
Um ehrlich zu sein: eigentlich eher Neuauflage als Verbesserungen. Die nunmehr vierte Version meines Vortrags „Fast websites and how to make them“ baut auf der Kennzahl „Seitengröße“ auf.

WordCamp Harare 2017

Seit Monaten lerne ich wöchentlich neue Zusammenhänge über den Mobilfunkmarkt in Simbabwe und versuche, der allgemeinen Netz-Situation in diesem Land inhaltlich gerecht zu werden.
Was hätten die Leute schließlich davon, wenn ich morgen beim WordCamp über Performance-Optimierung unter westeuropäischen/nordamerikanischen Bedingungen spräche?
In Simbabwe werden mobile Daten per Megabyte abgerechnet. Mein EcoNet Bundle von 650 MB kostest zum Beispiel 10 USD und ist 7 Tage lang gültig. Es gibt aber auch sehr viel teurere Tarife, bei denen das Megabyte mit bis zu 10 Cent zu Buche schlägt.
Inhaltlich freier Zugang zum Web, zu welchem Preis auch immer, ist nicht die Regel in Simbabwe. In persönlichen Gesprächen erfahre ich: Die meisten Leute nutzen kostengünstige WhatsApp- oder FacebookBundles auf ihren Telefonen. Damit wird die mobile Internetnutzung auf diese zwei Apps beschränkt.
Wer es sich leisten kann, bucht für zuhause zusätzlich eine Art Satelliten-DSL. (Festnetz-Leitungen gibt es nur für größere Unternehmen.)
Dabei handelt es sich häufig um einen Prepaid-Tarif; ist das Datenvolumen aufgebraucht, wird die Verbindung unterbrochen und man braucht einen neuen Freischalt-Code. Den wiederum gibt es auf kleinen Kärtchen überall im Handel zu kaufen; meine Gastgeberin hortet einen Vorrat davon in der Schreibtischschublade.
Die Download-Geschwindigkeit in meinem Cottage ist ähnlich schnell wie mein 1&1-Festnetz zuhause in Brandenburg.
Mobile Daten kosten in Simbabwe bis zu dreimal so viel wie in DE, UK, oder US
Tollkühn grätsche ich mein Vortragsskript in einen Spagat zwischen der Erklärung einer faktischen Benachteiligung Simbabwes durch teure Megabytes einerseits, während es andererseits die heimtückischen Klippen einer Entwicklungshelfer-Rhetorik zu umschiffen gilt, in die ein weisser Mitteleuropäer, dessen Afrika-Begriff frühkindlich von Brot-für-die-Welt-Kampagnen geprägt wurde, nur allzu leicht blindlings hinein segeln könnte. Und wie peinlich wäre das denn bitte.
Hellenic Academy
Am Nachmittag begebe ich mich für eine technische Orientierungsstunde zum Veranstaltungsort, der Hellenic Academy.
Die Privatschule im weitläufigen, von Park- und Gartengrundstücken bestimmten Universitätsviertel, bildet einen krassen Kontrast zum ansonsten eher von wirtschaftlichem Verfall geprägten Stadtbild. Technisch ist die Academy voll auf der Höhe. Ich präsentiere zum ersten Mal auf einem WordCamp über die Apple-TV-Schnittstelle meines MacBooks, kabellos.

Samstag, 4. November:
Richter Nomsa Sabarauta lehnt einen Antrag von Martha O’Donovans Anwälten ab, ihren Fall als ungültig zu erklären.
Die Anklage gegen O’Donovan lautet mittlerweile: Verunglimpfung des Präsidenten und versuchte Demontage einer verfassungsgemäß gewählten Regierung durch einen Retweet. Sollte die US-Amerikanerin schuldig gesprochen werden, drohen ihr bis zu 20 Jahre Haft.

Namensschild und T-Shirt, logo.
Das zweite WordCamp Harare beginnt pünktlich um 08:00 Uhr African Time – also gegen 09:30 Uhr Ortszeit.
Und bitte, das ist jetzt keine mitteleuropäische Überheblichkeit.
Erstens machen die Locals selbst Witze über ihren Zeitbegriff; zweitens kommen die meisten Leute zu Fuß und mit „Kombis“, einer Art improvisiertem Nahverkehrsmittel, in dem grundsätzlich doppelt so viele Personen wie zugelassen unterwegs sind.
Je nachdem wie heiß es ist und wie viele Kombis man sausen lassen muss, weil sie zu voll sind, kann man sich unter solchen Bedingungen schon mal um eine halbe Stunde verschätzen.
Hallo, WordCamp!
Die WordCamp-Vorträge selbst gibt es demnächst auf WordPress.tv zu sehen. Ich erzähle lieber von den Menschen, denen ich begegne.
Zum Beispiel: Rima, Career Consultant an der Hellenic Academy und Adhoc-WordCamp-Helferin.
Rima schaut beim Mittagessen auf die lunchende WordPress-Jugend auf dem Rasen und sagt Sachen wie: „Diese Jungs brauchen dringend ein paar Eier.“
Und die liebevolle Art, wie sie es sagt, eingebettet in den Kontext eines vierzigminütigen Gesprächs, dessen Inhalte hier wiederzugeben mir unmöglich ist, weckt die Vorstellung, wie sie während einer Anti-Mugabe-Demo eine Reihe Polizisten aus dem Weg scheuchen würde wie einen Klasse Schuljungen.
Thelma und Rima an der Registrierung
Oder Thelma, die mich in der Teepause anspricht, wie und wo sie denn bitte ein WordPress-Zertifikat erwerben könne.
Das ist ein Ding hier, Ausbildungsnachweise. So ziemlich alle, mit denen ich spreche, haben einen Abschluss in Computer Science, oder Design, oder irgendwas mit Marketing. Ich komme mir konkret unterbelichtet vor mit meinem Drei-Einser-Abitur und kein Schein seitdem.
Geflissentlich setze ich einer leicht verdutzten Thelma auseinander, dass es kein offizielles WordPress-Zertifikat gibt (nur Firmen, die damit Knete machen wollen), und dass die meisten der mir bekannten Entwickler/-innen vielleicht einen Abschluss haben, aber in der Regel nicht unbedingt wegen dieses Abschlusses erfolgreich sind.
Thabo und WordCamp-Teilnehmerinnen: Frauen sind auf dem Vormarsch!
Und natürlich ist da noch Thabo, der das WordPress Meetup Harare ins Leben rief und wegen dessen Vortrag beim WordCamp Europe ich überhaupt hier bin.
Das Wort, das mir zu Thabo einfällt, ist: Demut. Es braucht eine gewisse Reife und die Bereitschaft, das eigene Ego konstant am Boden schleifen zu sehen, um eine Community aus der Taufe zu heben.
Thabo ist seit zwei Jahren eine Extra-Meile nach der anderen gegangen. Er ist sich bewusst, dass sein Meetup-„Baby“ von Anfang an größer war als er selbst.
Seine Augen funkeln, wenn er erzählt, wie die Aufmerksamkeit der globalen Community nach und nach das Selbstbewusstsein seiner Leute verändert; wie sie sich klar werden darüber, dass sie Teil einer weltweiten Gemeinschaft sind und etwas bewirken können – „just by showing up“.
Mir selbst wiederum wird einmal mehr klar, dass ich hier ein Fremder bin, trotz der überwältigenden Freundlichkeit, mit der Simbabwe seine Gäste beschenkt.
Ich befinde mich in einem Land, in dem eins von 14 Kindern stirbt bevor es das fünfte Lebensjahr erreicht. Ich darf diese Menschen ins Herz schließen und ihre Fragen beantworten, aber ich muss mich hüten, mitreden zu wollen.

Montag, 6. November:
Mugabe feuert seinen Vize-Präsidenten, Emmerson Mnangagwa.

Anhänger Mnangagwas hatten zuvor behauptet, der 75-jährige sei vergiftet worden, und hatten damit indirekt Präsidentengattin Grace Mugabe eines Attentats bezichtigt. Mit seinem Ausscheiden scheint der Weg frei für Grace Mugabe, dereinst die Nachfolge ihres Mannes anzutreten. Eine Mugabe-Dynastie scheint am Horizont Simbabwes heraufzuziehen.
Martha O’Donovan sitzt noch immer im Chikurubi Maximum Prison. Ihre Anwälte haben ihre Freilassung gegen Kaution beantragt; eine Anhörung ist für Mittwoch angesetzt.

Moto Republik: Co-working Space aus Containern auf Stelzen
Der WordCamp-Tourist hat einen entspannten Touristen-Sonntag verlebt. Nun, am Montagvormittag, holt Thabo mich ab, und wir besuchen die Meetup-Location.
Moto Republik ist mehr als ein Co-Working-Space. Vor einigen Monaten hatte die Regierung die Abrissbirne geschickt – solch ein Dorn im Auge ist ihr das Kreativ-Netzwerk, das sich hier trifft. Glücklicherweise konnte der Abriss abgewendet werden, aber die Konzession fürs Café musste leider dran glauben.
Tags darauf erscheine ich zeitig zum Meetup und muss an einem Security-Mann am Tor vorbei. Man ist auf der Hut und auf ungebetene Gäste vorbereitet.
Ich lerne Munya kennen, der berichtet, wie er und Martha, die inhaftierte Amerikanerin, im Frühjahr bei der re:publika in Berlin zu Gast waren.
Wie so ziemlich alle Menschen hier ist Munya die Freundlichkeit in Person, versorgt mich mit WLAN, hilft mir beim Aufbau – und dann malt er für uns ein großes WordPress-Logo an die Wand. Drohende Verhaftungen hin oder her, die Zeit muss sein. Ich könnte heulen.
WordPress-Grafitti von Munya
Das Meetup und meine Live-Performance-Optimierung einer News-Site des Magamba Networks verläuft engagiert. Die Teilnehmer/-innen zeigen lebhaftes Interesse, stellen einen Haufen sinnvoller Fragen, und ich verkacke nur ein ganz kleines bisschen – alle sind happy.
Thabo rückt mit Pizza an, und wir schwenken den Fokus auf WordPress.org, Community, Slack, WordCamps und dergleichen.
Besonders Slack stellt sich als Engpass heraus. Zum Einen scheint die Registrierung blödsinnig kompliziert, wenn man sie einer Gruppe erklären soll; zum Anderen bildet die App selbst eine signifikante Hürde mit ihren privilegierten Ansprüchen an Netzstärke und Telefon-CPU.
Tja, und dann ist es auch schon Zeit, auf Wiedersehen zu sagen.

Mittwoch, 8. November:
Am Vormittag beginnt die Kautionsanhörung für Martha O’Donovan vor dem High Court in Harare.

Die Vertretung der Anklage, also der Staat, erscheint unvorbereitet; die Anhörung muss um einen weiteren Tag vertagt werden – und O’Donovan zurück in den Chikurubi-Hochsicherheitstrakt.

Ist das eine geile Dusche, oder was?!
Meinen vorerst letzten halben Tag in Simbabwe verbringe ich schreibend und packend. Und natürlich mit #FreeMartha. Das Hashtag hat eine noch persönlichere Bedeutung gewonnen, seit ich die Leute von Moto Republik kennengelernt habe.
Mit Likes und Kommentaren halte ich mich strikt zurück; ich möchte heil ausreisen, und vor allem auch unbehelligt wieder einreisen. Wenn man hier wegen eines Tweets verhaftet werden kann – naja, das Tweeten kann ich mir verkneifen, und unverhaftet nütze ich meinen Meetup-Freundinnen und -Freunden sicher mehr als in Handschellen, oder mit einem Landesverweis im Pass.
Am Nachmittag mache ich mich auf zum Harare International Airport.
Ich werde von 19:00 Uhr bis 6:00 Uhr morgens neun Stunden lang über zwei Kontinente fliegen, und dann noch einmal sieben Stunden von 9:00 Uhr bis 13:00.
Anschließend werde ich acht Stunden auf dem Flughafen von Mailand Twitter lesen. Ich werde erfahren, dass Martha endlich gegen Kaution frei kommt und dass der Harare International Airport umbenannt wurde in Robert Mugabe International Airport.
Gegen 23:00 Uhr werde ich in Berlin Schönefeld landen, erkältet, traurig und froh, und ein anderer als vor meiner Abreise.
Am Dienstag, den 14. November, werde ich lesen, dass bei einer Razzia sämtliche Computer von Magamba Network konfisziert wurden während Panzer in Harare einrollen und dass das Militär Präsident Mugabe in seiner Villa festgesetzt hat.
Und schließlich werde ich einer von Millionen Zeugen sein, wie ein enthusiastisches, freundliches, liebenswertes Volk einen widerlichen Despoten friedlich zum Rücktritt zwingt – mit Hilfe des Militärs, aber ohne Blutvergießen. Und mit Millionen Anderer werde ich bangen, wie es wohl weitergeht – jetzt, da der gefeuerte Vize schlussendlich Präsident geworden ist.

Speaker: Robert Mugabe has resigned. #ImpeachMugabe
— Open Parly ZW (@OpenParlyZw) November 21, 2017

Wenn Wünsche helfen, werde ich irgendwann nächstes Jahr auf einem Flughafen landen, der wieder Harare International Airport heisst, als WordCamp-Tourist.
Ich werde Jessica, die Taxifahrerin anrufen, und sie wird mir von der Hochzeit ihrer Tochter berichten, und dabei wird sie an einem Maiskolben kauen und die Speed-Bumps ganz vorsichtig nehmen.
Ich werde Irene und Murray zu einem Sundowner auf ihrer Terrasse besuchen, und am nächsten Morgen werde ich mit Adrian, dem Gärtner, einen Schnack halten und Njabu im Verlagsbüro guten Tag sagen.
Und dann werde ich Thabo, Thelma, Rima, Achim, Sizo, Alwyn, Ellen, Kundai und vielleicht sogar Kudzai, Munya, Sam und Martha beim WordCamp treffen, und wir werden – mit WordPress als Vorwand – irgendwie ein kleines bisschen die Welt verändern.
Alwyn und Thelma freuen sich aufs nächste WordCamp. ✌️