Auf dem WordCamp Europe hatte ich die Gelegenheit, mit Rian Rietveld über Barrierefreiheit im Allgemeinen und das Accessibility-Team des WordPress-Projekts im Speziellen zu sprechen. Zu dieser Zeit war Rian noch Lead des Teams, inzwischen ist sie zurückgetreten. Die Themen, über die wir gesprochen haben, sind dennoch unverändert relevant.

Simon: Lass uns über Barrierefreiheit sprechen. In den Niederlanden hattest du eine ganz schöne Reise zum Thema. Was ist die Geschichte dahinter?

Rian: Nun, ich war eine Web-Entwicklerin und ich war selbstständig, und dann beschloss die niederländische Regierung, dass alle Regierungs-Websites barrierefrei sein müssen. Und dann dachte ich, na ja, das ist ein riesiger Markt und eine Menge Geld. Also habe ich mich selbst weitergebildet. Ich habe an Kursen teilgenommen und mich zertifizieren lassen. Und dann kam die Arbeit. Für mich war es zunächst eine finanzielle Entscheidung, und es hat sehr gut für mich funktioniert. Und dann habe ich Menschen getroffen, die blind sind und das Internet nutzen und ich habe gesehen, wie sie sich abmühen mussten und dann kam das Einfühlungsvermögen.

Schließlich bekam ich Kunden, die blind waren und WordPress benutzten – sie hatten Probleme, und ich dachte mir, vielleicht kann ich versuchen, WordPress zu verbessern oder den Entwicklerinnen und Entwicklern Tipps geben, wie sie die Dinge verbessern können. Dabei entdeckte ich dann, dass es ein Accessibility-Team gibt. Also habe ich mich ihnen angeschlossen, und meine Reise in Sachen Barrierefreiheit in WordPress hat begonnen. Wir versuchen, unser Bestes zu tun, um alle zu überzeugen, was wichtig ist und warum es vor allem für ein so großes Projekt wichtig ist, denn etwa 20 Prozent aller Menschen profitieren von einer besseren WordPress-Website.

Warum sollte ich mich überhaupt für Barrierefreiheit interessieren?

20 Prozent aller Menschen brauchen eine barrierefreie Website in der einen oder anderen Form. Das ist also ein riesiger Prozentsatz deines Publikums. Und es ist nicht nur der Blinde, der deine Website besucht oder sie vielleicht nie besucht. Es ist eine riesige Menge von Menschen, wie ältere Menschen oder Menschen, die nicht sehr gut sehen oder eine Maus benutzen können. Es gibt eine große Vielfalt von Menschen, die eine Art von Zugänglichkeit benötigen, und die meisten Dinge kommen auch Menschen zugute, die keine Behinderung haben, weil alles auf verschiedenen Geräten besser funktioniert.

Für ein Projekt wie WordPress, das von mehr als 30 Prozent des Internets genutzt wird, ist es also insgesamt besser, wenn mehr Menschen es nutzen können. Wenn du also eine Firma hast und viel Geld für SEO ausgibst, versuchst alle Leute zu erreichen und dann verlassen 20 Prozent der Leute die Webseite, weil sie sie nicht nutzen können. Das ist eine riesige Menge Geld, die du wegwirfst. Ich denke, deshalb ist die Barrierefreiheit so wichtig. Außerdem wirst du ein besserer Entwickler, wenn du dich mit dem Thema beschäftigst.

Dem würde ich zustimmen. In meiner Erfahrung haben die meisten barrierefreien Themes auch eine recht gute Code-Qualität. Woran glaubst du, liegt das?

Nun an der Semantik! Ein Hamburger-Menü sollte zum Beispiel nicht einfach aus einem <div> bestehen.

Man sollte eh kein Hamburger-Menü verwenden. Aber das ist eine andere Sache.

Ja, das stimmt. Aber einen Button anstelle eines <div> zu verwenden ist schon mal eine große Verbesserung. Und wenn du erkennst, dass dein Code semantisch sein muss, bist du den anderen weit voraus.

Gibt es Pläne, vielleicht einen weiteren Tag für WordPress-Themes hinzuzufügen, die vollständig barrierefrei sind?

Es ist so viel Arbeit, barrierefreies Material zu prüfen. Wir haben also absolut keine Zeit, eine zusätzliche Überprüfung durchzuführen. Und außerdem kann man ein Theme installieren und dann Plugins und Inhalte hinzufügen und damit die gesamte Barrierefreiheit ruinieren. Es ist also keine Garantie dafür, dass deine Website barrierefrei sein wird, wenn du ein barrierefreies Theme hast. Die von dir verwendeten Plugins oder dein Inhalt kann Probleme haben.

Also brauchen wir vielleicht auch ein accessibility-ready-Tag für Plugins.

Ja. Wenn wir jemanden finden, der das tatsächlich überprüfen will, ist das vielleicht eine Idee, aber ich glaube, es gibt fünfzigtausend Plugins…

… ungefähr … ja.

Vielleicht will jemand damit anfangen. Ich nicht. Aber was man tun kann, wenn man ein Barrierefreiheitsproblem findet: Man kann es dem Plugin-Autor melden. Vielleicht wird er es aufgreifen.

Gibt es eine Ressource, die du Entwicklerinnen und Entwicklern empfehlen würdest, die sich dafür interessieren?

Das Accessibility-Team hat ein Handbuch mit bewährten Verfahren und kurzen Erklärungen zu den Themen und dann eine Liste von Ressourcen geschrieben, und damit kann man beginnen. Diese finden du unter make.wordpress.org/accessibility. Das W3C hat auch Schulungsseiten über die besten Praktiken und Beispiele zur Barrierefreiheit.

Lass und über das WordPress-Accessibility-Team sprechen. Wie viele Personen kümmern sich um dieses Thema?

Sie kommen und gehen, aber wir haben ein festes Team von etwa sechs Personen. Und es gibt viele Leute, die kommen, Dinge tun und dann wieder gehen. Aber das ist okay.

Das Team hat regelmäßige Slack-Meetings. Das ist eine Menge Arbeit, nicht wahr?

Ja, das ist es. Aber zum Glück zahlen Arbeitgeber wie meiner (Level Level), aber auch Yoast oder 10up für die Zeit einiger Teammitglieder. Das ist sehr gut.

Das ist großartig. Und das Accessibility-Team wird manchmal auch bei anderen Komponenten von WordPress konsultiert. Ist das so: „Oh, wir sollten mit dem Accessibility-Team darüber sprechen.“?

Ja, das wäre schön.

Wäre schön?!

Es ist viel besser als vor einigen Jahren. Seit Andrea Fercia kam und er so gut recherchiert und so gut programmiert hat, wurde den Leuten klar, dass wir uns vielleicht darum kümmern müssen. Und jetzt sind wir Berater wie: „Schaut euch das an, ist das in Ordnung?“. Bei Gutenberg sind wir, glaube ich, zu spät gekommen. Es hat sich am Anfang so sehr schnell und stark verändert, so dass eigentlich niemand wusste, wie es am Ende ausgehen wird. Es war also sehr schwer, Code-Reviews durchzuführen.

Wie geht es dem WordPress-Core außerhalb von Gutenberg?

Da ist es ziemlich gut. Aber es ist auch viel einfacher. Es gibt zwar Probleme, es sind noch Hunderte von Tickets offen, aber das ist nur Arbeit, die noch nicht abgeschlossen ist. Und das ist okay. Und die meiste Arbeit können wir selbst erledigen oder wir können besser helfen. Und dann ist manches nur eine Diskussion darüber, ob man die Dinge besser machen kann.

Nun, denn ohne Gutenberg ist das WordPress-Backend für Menschen, die blind sind oder die Maus nicht benutzen können, sehr gut nutzbar. Das ist also meiner Meinung nach im Moment eines der besten CMS für Menschen mit einer Behinderung, um die Website tatsächlich zu benutzen und Inhalte hinzuzufügen und ein Content-Manager zu sein.

Wie schlagen sich die anderen Content-Managment-Systeme?

Ich habe keine Recherche durchgeführt, aber ich weiß, dass Drupal viel für die Barrierefreiheit tut, und sie haben es viel besser in ihr Entwicklungsteam eingebettet. Sie denken Barrierefreiheit also von Anfang an mit und haben Drupal 8 mit einem großen Accessibility-Update rausgebracht. Ich glaube, die Entwickler dort sind sich dessen stärker bewusst, aber ich denke, wir machen es besser, weil wir eine größere Gemeinschaft mit mehr Ressourcen und mehr Hilfe sind.

Ja. Gibt es etwas, bei dem Entwickler oder Designer dem Team helfen könnten?

Nun, es gibt Tickets auf Trac und Issues auf GitHub für Gutenberg. Lest sie und nehmt an der Diskussion teil. Die Gutenberg-Tickets sind mit „Accessibility“ und „Design“ markiert, auf Trac haben sie auch einen Fokus „Accessibility“. Wer sich eines auswählen, sich an der Diskussion beteiligen oder etwas recherchieren möchten, ist herzlich willkommen.

Ich habe eine ganze Weile gebraucht, bis ich die Arbeit am Content auch als Teilthema der Barrierefreiheit gesehen habe. Was gibt es da zu beachten?

Wenn deine Überschriftenstruktur ein Durcheinander ist und nicht wirklich den Inhalt darstellt, der darin enthalten ist, oder wenn du Links mit „hier klicken“, „herunterladen“ oder einfach „hier“ beschriftest, ist das ein Problem. Jemand, der blind ist, kann eine Linkliste aufrufen, und wenn die alle mit „hier herunterladen“, „mehr“, „weiter“ beschriftet sind, ist nicht einfach erkennbar, worum es sich dabei handelt. Das sind auch Dinge, die man Content-Managern beibringen muss. Und Bilder sollten einen richtigen Alt-Text haben!

Wie ist nochmal die Regel mit Alt-Texten bei Bildern?

Wenn du ein Content-Manager bist und ein Bild vor dir hast, das nur dekorativ ist, lass den Alt-Text leer, dann wird er jemandem, der blind ist, nicht vorgelesen. Aber du kannst auch einen wirklich guten Alt-Text hinzufügen und der wird dann mit dem restlichen Inhalt zusammen ausgegeben. Das solltest du aber nur tun, wenn es ein Bild ist, das wirklich zum Inhalt beiträgt. Etwas wie „das ist ein Bild von einem süßen Kätzchen bla bla bla bla“ wäre kein guter Alt-Text. Erkläre nur ganz kurz, was sich auf dem Bild befindet, was die Leute wirklich wissen müssen, um die Website zu verstehen. Der Alt-Text ist also nur eine kleine Beschreibung dessen, was auf dem Bild zu sehen ist.

Und damit tust du auch Suchmaschinen einen Gefallen, oder?

Ja. Nun, alles Gute, was sie für die Barrierefreiheit tun, ist gut für SEO, denn Google ist taub und blind. Das ist oft mein Pitch an die Kunden. Wenn sie nicht in die Barrierefreiheit aber in SEO investieren wollen, sagen ich: „Oh, das ist sehr gut für SEO!“.

Also ja, das ist raffiniert. Gibt es etwas Wichtiges, das wir noch nicht erwähnt haben?

Ich denke, das Wichtigste beim Versuch, die Barrierefreiheit in deinen Workflow einzubeziehen, ist der Ansatz, deine Website anders zu betrachten. Versuch deine Arbeit nicht nur für dich selbst, sondern für möglichst viele Menschen nutzbar zu machen und versetz dich in ihre Lage.

Nicht jeder sieht den ganzen Bildschirm. Manche Menschen sehen nur einen Teil des Bildschirms. Manche Menschen können die Maus nicht benutzen. Manche Menschen können Farben nicht sehr gut sehen. Es ist so, dass 8 Prozent aller Männer farbenblind sind. Diese Menschen sind keine perfekten Benutzer und wenn du ihre Schwierigkeiten verstehst, bist du auf einem sehr guten Weg.

Wenn du dir für die nächsten Jahre etwas bezüglich der Barrierefreiheit von WordPress wünschen könntest, was würdest du dir wünschen?

Ich würde mir mehr Core-Entwickler wünschen, die Barrierefreiheit ernst nehmen und härter daran arbeiten, sie tatsächlich von Anfang an in ihren Workflow einzubinden.